“Ich möchte Glauben lernen”

 

Klaus Maria Brandauer liest Dietrich Bonhoeffer

 

Musikalisches Programm: Daniel Hope - Violine

 
Klaus Maria Brandauer liest Texte aus den Briefen und Aufzeichnungen aus der Haft Dietrich Bonhoeffers. Musikalisch begleitet wird er dabei von dem innovativen und vielfach ausgezeichneten britischen Violinist Daniel Hope.


Dietrich Bonhoeffer ist als bedeutender Theologe und mutiger Widerstandskämpfer über die Grenzen von Ländern und Konfessionen hinaus bekannt geworden. Durch seinen Bruder Klaus Bonhoeffer und seine beiden Schwäger Rüdiger Schleicher und Hans von Dohnanyi knüpfte er Kontakte zu Widerstandskreisen, entschied sich zur Tat und gehörte dann - über die "Bekennende Kirche" hinaus - dem Widerstand gegen Hitler an. 1943 wurde Dietrich Bonhoeffer verhaftet und 1945 kurz vor Kriegsende von den Nazis umgebracht.

 

Klaus Maria Brandauer scheint spätestens seit „Mephisto“ eine Vorliebe für Figuren zu haben, die in totalitären Regimes zwischen Eigensinn und Opportunismus „balancieren“ oder - wie im Falle von Bonhoeffer - entschieden Stellung beziehen und dagegen agieren. Vor zwei Jahren schlüpfte Brandauer im ARD-Zweiteiler „Im Visier des Bösen“ in die Rolle eines Philosophieprofessors, der sich im Auftrag der Nazis einer Widerstandskämpferin nähert. Sein Anreiz für solche Rollen? „Um eine Figur glaubwürdig werden zu lassen, muss man sich immer fragen, was man denn selbst in solch einer Situation getan hätte. ... Wie hätte man auf so teuflische Angebote, auf kaum verhohlene Erpressung reagiert? Ich weiß es nicht, und genau da liegt die Spannung. Ich lebe ja nicht in einer totalitären Gesellschaft. Ich muss keine Angst haben, dass man mich umbringt, weil meine Meinung der Regierung nicht gefällt. Aber dieses Druckverhältnis, dieser Kampf des einzelnen Menschen mit seiner Angst, das hat mich schon immer interessiert. Und zwar in allen Zusammenhängen.“ (Berliner Zeitung 07/2003)


 
Eine Zuschrift nach der Veranstaltung vom 24.4.2015:

Nur noch Gefühl - Brandauer liest Bonhoeffer, mit Daniel Hope, Schauspielhaus Zürich, 24.4.2015

Gestern am frühen Abend lieh Klaus Maria Brandauer dem am 9.4.1945 gewaltsam für immer zum Schweigen gebrachten Dietrich Bonhoeffer seine Stimme. Brandauer las aus Briefen, die Bonhoeffer aus dem Gefängnis an seine Familie und seinen Freund Eberhard Bethge geschrieben hatte.

Dieser Tage wird Bonhoeffer anläßlich seines 70. Todestages wieder viel zitiert, gelesen, gehört. Was man aus den Texten kennt, wofür er steht, das ist: diese fast heilige Beherrschtheit, die nicht von dieser Welt zu sein scheint, entrückt von dem, was uns als Menschen im Kleinen so umtreibt. Bonhöffer, der unter immer drückender werdender Todesdrohung aufrecht steht, den anderen Vorbild ist, der in seinen Briefen den Angehörigen keinen Kummer machen will und noch bei den düstersten Zeichen der Unausweichlichkeit von Gewalt, Willkür und Machtmißbrauch schreiben kann: "Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar."


Ja, hat denn dieser Mensch keine Angst, verfällt er nie in Selbstmitleid, verzweifelt er nicht? Wie macht der das, fragt man sich, ob gläubig oder nicht, jedenfalls ungläubig vor so absoluter Unanfechtbarkeit. Doch, es gibt schon Worte des Zweifels, aber auch die klingen noch so unheimlich beherrscht: "Wer bin ich? Bin ich ein Heiliger?", fragt er sich, weil die Mithäftlinge so zu ihm aufschauen als Quelle von Trost, von Standfestigkeit, ein feste Burg ist unser Gott. Das klingt leicht überheblich, fast etwas narzisstisch, jedenfalls sehr protestantisch und gefasst, als würde er sich von außen beobachten und sich - nicht ganz ohne Stolz - über sich selbst wundern. Und man kann sein "Gott! Gott! Gott!" leise, gläubig-entrückt lesen. Dann säuselt es eher, eine Beschwörung der für sicher gehaltenen Verbindung, von guten Mächten eben still umgeben. Ein Mensch, der nie wankt in seinem Glauben, der sich selbst mehr im Griff hatte als Jesus am Kreuz, der ja immerhin noch den Glauben verlor und das in die Welt schrie. Wie kann es das geben?

Oder man hört und liest das alles ganz anders. Wie Brandauer eben, der diese protestantische Decke des zusammengenommenen Über-Ichs gnadenlos wegreisst und dessen geliehene Stimme etwas ganz anderes hervorbringt: einen schreienden Mensch von dieser Welt, kein bisschen heilig, sondern verzweifelt, panisch, nicht ent-, sondern ver-rückt vor Angst.

Dann wird das "Wer bin ich?" ein Klageruf, das "Ich" verliert alle Distanz zu sich selbst und löst sich unter dem Entzug jeglicher Gewissheit auf. Dann erscheinen die Rufe zur "Anfechtung" als gellende Schreie gegen das Treiben der teuflischen Kräfte, die ihm je länger je mehr jede Hoffnung rauben. Bonhoeffer hat in seinen Briefen ein Bild von sich geschaffen, das damals die  Empfänger beruhigen sollte, das deshalb vielleicht mehr als üblich eine Konstruktion war: eines Menschen aufrecht im Glauben, psychisch gefasst. Liest man die Briefe leise, still, im Bild des Gott Ergebenen, dann spürt man vielleicht auch Widerwillen gegen so viel Distanz und es beschleichen einen Zweifel an der Aufrichtigkeit des Aufrechten. Doch Brandauers Lesung fegte diese Zweifel beiseite. So menschlich, weil wütend, aufbegehrend, sich gegen das von Gott gegebene Schicksal wehrend, wird Bonhoeffer einer von uns und erst damit, vielleicht, ein Vorbild.

Daniel Hope steigerte durch sein mit der Lesung abwechselndes Geigenspiel die durch das Wort entstandene Atmosphäre noch um ein Vielfaches. Bezeichnenderweise begann der Abend mit Kaddischgesängen von Ravel: der untergündige Klagelaut der  esamtgesellschaftlichen Katastrophe als Leitmotiv des Abends. Auf individualisierter Ebene folgte dann Bachs d-moll Partita, gezupft, beherrschte Harmonieführung mit hoher Komplexität, eine durch das Zupfen noch strenger als sonst geführte Emotionalität. Und als der Nimbus des Heiligen durch Brandauer mehr und mehr brach, verstärkte Hope dies durch eindringliche zeitgenössischere Klänge. Mit Penderecki endete jeder Verdacht säuselnder Selbstüberhöhung.

Was bleibt nun? Ein entzauberter Heiliger, der auf dem Boden der Tatsachen zerbrochen ist? Ein verzweifelt Glaubender, der aber gescheitert ist? Ein Mensch, der sich immer wieder am Glauben aus dem Sumpf gezogen hat und wenigstens immer wieder einmal aufrecht stand? Wohl von allem etwas, aber was Hoffnung macht, ist das Letztere. "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen. Und ganz gewiss an jedem neuen Tag." Diese sich erneuernde Zuversicht, das bleibt.

25.4.2015, Karen Schobloch


Weiterführende Informationen zu Bonhoeffer:

    www.dietrich-bonhoeffer.net/
    www.bonhoeffer.ch 
    www.ekir.de/esz/ibg/
    www.dbonhoeffer.org/

 
Foto: Christof Mattes

Foto: Christof Mattes